Die Jugendlichen in Deutschland schneiden in Mathematik, im Lesen und in Naturwissenschaften deutlich schlechter ab als noch 2018. Dies zeigt die neue PISA-Studie, die heute in Berlin vorgestellt wurde. Rund ein Drittel der getesteten 15-Jährigen hat in mindestens einem der drei Bereiche nur sehr geringe Kompetenzen. Die Ergebnisse bestätigen einen Abwärtstrend, der sich in den vorherigen PISA-Studien bereits angedeutet hatte. Die Schüler:innen erreichen in Mathematik und Lesen nur noch das Durchschnittsniveau der OECD-Staaten. Lediglich in den Naturwissenschaften liegen ihre Ergebnisse weiterhin darüber.
Die PISA-Studie untersucht regelmäßig, wie gut 15-jährige Schüler:innen gegen Ende ihrer Pflichtschulzeit alltagsnahe Aufgaben in Mathematik, im Lesen und in den Naturwissenschaften lösen können. Die aktuelle Studie, die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) koordiniert und in Deutschland vom Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen Universität München (TUM) geleitet wird, wurde im Frühjahr 2022 durchgeführt.
In vielen OECD-Staaten haben sich die durchschnittlichen Mathematik- und Lesekompetenzen der Jugendlichen im Vergleich zur vorherigen PISA-Studie von 2018 verringert. Dies gilt in geringerem Maße auch für die naturwissenschaftliche Kompetenz.
In Deutschland sind die Leistungseinbußen in allen drei Bereichen überdurchschnittlich groß. Deutschland liegt damit nur noch in den Naturwissenschaften signifikant über dem Durchschnitt der OECD-Staaten (492 zu 485 Punkten). In Mathematik (475 zu 472 Punkten) und Lesen (480 zu 476 Punkten) entsprechen die Ergebnisse jetzt dem OECD-Durchschnitt, der in beiden Bereichen ebenfalls gesunken ist.
Nach der ersten PISA-Studie 2000 hatte Deutschland seine Ergebnisse zunächst verbessern und auf hohem Niveau halten können. In den letzten PISA-Runden hatte sich allerdings ein Abwärtstrend angedeutet. Die Ergebnisse in Mathematik und Naturwissenschaften liegen nun unter dem Niveau der PISA-Studien der 2000er Jahre, als Mathematik (PISA 2003) und Naturwissenschaften (PISA 2006) jeweils zum ersten Mal vertieft untersucht wurden. Beim Lesen entsprechen die Ergebnisse in etwa der PISA-Studie 2000, als Lesen erstmals Studienschwerpunkt war.
Nur sehr wenige OECD-Staaten konnten zwischen 2018 und 2022 Teile ihrer Ergebnisse verbessern, beispielsweise Japan im Lesen und in den Naturwissenschaften sowie Italien, Irland und Lettland in den Naturwissenschaften. In Mathematik haben die Jugendlichen in Japan und Korea im Schnitt die höchsten Kompetenzen. Im Lesen stehen Irland, Japan, Korea und Estland an der Spitze. In den Naturwissenschaften erreichen Japan, Korea, Estland und Kanada die besten Werte.
Schwerpunkt der achten PISA-Studie: Mathematik
Bei der achten PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) wurden in Deutschland die Kompetenzen von rund 6.100 repräsentativ ausgewählten 15 Jahre alten Schüler:innen an rund 260 Schulen aller Schularten getestet. Zudem wurden die Jugendlichen zu ihren Lernbedingungen und Einstellungen sowie ihrer sozialen Herkunft befragt. Schulleiter:innen, Lehrkräfte und Eltern beantworteten Fragen zu Gestaltung und Ressourcen des Unterrichts sowie zur Rolle des Lernens in der Familie. Weltweit nahmen rund 690.000 Schüler:innen an der Studie teil. Jede PISA-Studie nimmt einen Bereich intensiver unter die Lupe, diesmal Mathematik.
Der deutsche Teil der Studie wird im Auftrag der Kultusministerkonferenz und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom ZIB geleitet, an dem neben der TUM das Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) und das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) beteiligt sind.
Mehr Schüler:innen erreichen nur sehr geringe Kompetenzen
Entsprechend der im Test erreichten Punktzahlen ordnet die Studie die Schüler:innen sechs Kompetenzstufen zu. Schüler:innen, deren Kompetenzen nicht über der Kompetenzstufe eins liegen, benötigen zusätzliche Förderung, um eine berufliche oder weitere schulische Ausbildung bewältigen und an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilhaben zu können.
Rund ein Drittel der 15-Jährigen hat in mindestens einem der drei getesteten Felder nur diese sehr geringen Kompetenzen. Circa jeder sechste Jugendliche hat in allen drei Bereichen deutliche Defizite. Die Anteile dieser besonders leistungsschwachen Jugendlichen sind seit 2018 größer geworden und betragen in Mathematik rund 30 Prozent, im Lesen rund 26 Prozent und in den Naturwissenschaften rund 23 Prozent.
Auf der anderen Seite des Spektrums befinden sich die besonders leistungsstarken Schüler:innen. In Mathematik ist ihr Anteil auf rund neun Prozent und im Lesen auf rund acht Prozent gesunken. In den Naturwissenschaften blieb dieser Anteil bei rund zehn Prozent stabil.
Faktor Corona-Pandemie
Aus den Befragungen von Schulleiter:innen und Schüler:innen lassen sich Hinweise für mögliche Gründe für die verschlechterten Ergebnisse ableiten: Zum einen gehen die Forschenden davon aus, dass die Schulschließungen während der Corona-Pandemie einen negativen Effekt auf den Kompetenzerwerb hatten. In Deutschland wurde der Distanzunterricht weniger mit digitalen Medien und mehr mit Materialien, die an die Jugendlichen geschickt wurden, bestritten als im OECD-Durchschnitt. „Deutschland war im internationalen Vergleich nicht gut auf den Distanzunterricht vorbereitet, was die Ausstattung mit Digitalgeräten angeht – hat dann aber aufgeholt“, sagt die Studienleiterin Prof. Doris Lewalter, Bildungsforscherin an der TUM und Vorstandsvorsitzende des ZIB. Förderangebote wurden von weniger als der Hälfte der leistungsschwächeren Schüler:innen wahrgenommen.
Die Auswertung der internationalen Daten zeigt allerdings, dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen der Dauer der Schulschließungen und Leistungsrückgängen zwischen 2018 und 2022 gibt. Es gibt sowohl Staaten mit relativ wenigen Schließtagen, die deutlich schlechtere Ergebnisse vorweisen als 2018, als auch Staaten mit relativ vielen Schließtagen, die nur geringfügig weniger oder sogar etwas mehr Punkte erreichen als 2018.
Faktor Sprachschwierigkeiten
Ein zweiter möglicher Faktor für die Erklärung der Ergebnisse im Studienschwerpunkt Mathematik: In Deutschland ist der Zusammenhang zwischen den Kompetenzen der Jugendlichen und dem sozioökonomischen Status der Familien wie auch ihrem Zuwanderungshintergrund weiterhin stark ausgeprägt. Die 15-Jährigen, die selbst zugewandert sind, haben heute deutlich geringere Kompetenzen in Mathematik als die entsprechende Gruppe im Jahr 2012, in dem diese Frage zuletzt untersucht wurde. In den Familien dieser Jugendlichen wird heute zu Hause seltener Deutsch gesprochen als in den entsprechenden Familien 2012.
„Dieser Befund erklärt die Gesamtergebnisse aber nur zum Teil“, betont Lewalter. „Die mathematischen Kompetenzen der Jugendlichen ohne Zuwanderungshintergrund sind im Vergleich zu 2012 ebenfalls geringer geworden – sogar deutlicher als bei den Jugendlichen, deren Eltern zugewandert, die aber selbst in Deutschland geboren sind.“
Faktor Interesse und Motivation
Um den längerfristigen Negativtrend zu erklären, schauen die Forschenden deshalb auch auf die Befragungen der Schüler:innen zu Motivation, Einstellungen und Unterrichtsgestaltung. Im Vergleich zum Jahr 2012 haben die Jugendlichen weniger Freude und Interesse an Mathematik. Zugenommen hat dagegen die Ängstlichkeit gegenüber dem Fach. Zudem sehen die 15-Jährigen weniger Nutzen darin, Mathematik zu lernen.
„Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass sich die Schüler:innen weniger durch ihre Mathematiklehrkraft unterstützt fühlen – diese Unterstützung ist aber ein wichtiges Merkmal für guten Unterricht. Zudem nehmen die Jugendlichen den von ihren Lehrkräften intendierten Lebensweltbezug im Unterricht nur in Teilen wahr. Das erschwert es ihnen zu erkennen, welche Bedeutung Mathematik in ihrem Leben spielt – worunter wiederum die Motivation für das Fach leiden kann“, sagt Lewalter.
„Gemeinsame Kraftanstrengung“
Als wichtigste Konsequenzen aus den PISA-Ergebnissen empfehlen die Bildungsforscher:innen:
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eine systematische Diagnose und Förderung von Sprach- und Lesekompetenz von der Vorschule bis zum Sekundarbereich. „Die Beherrschung der deutschen Sprache ist die Basis für jeden schulischen Erfolg“, sagt Lewalter.
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eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Unterrichts und den Einbezug digitaler Medien. „Die Lebensrealitäten der Jugendlichen ändern sich rasant und damit auch die Ausgangslage für die Anwendung von Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften“, sagt Lewalter.
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eine bedarfsorientierte Ressourcenzuwendung, um die Ausstattung von Schulen zu verbessern, die viele Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch benachteiligten Familien und mit Zuwanderungshintergrund unterrichten.
„Deutschland hat es nach der ersten PISA-Studie 2000 geschafft, mit wirksamen Förderprogrammen die Kompetenzen der Jugendlichen deutlich zu verbessern“, sagt Lewalter. „Mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Politik, Schulen und Gesellschaft kann es wieder möglich sein, einen solchen Aufschwung einzuleiten.“
Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Simone Oldenburg sieht die Stärkung der Kernkompetenzen in Deutsch und Mathematik als zentrale Aufgabe, um die Bildungserfolge von Schülerinnen und Schülern zu erhöhen. Nach den Ergebnissen der jüngsten internationalen PISA-Studie fühlt sich die Ministerin in ihrem Handeln bestätigt. PISA 2022 gibt einen Überblick über die Kompetenzen Fünfzehnjähriger in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen. In Deutschland nahmen an 257 Schulen insgesamt 6.116 Schülerinnen und Schüler im Jahr 2022 teil. Die Stichprobe ist für Deutschland repräsentativ. Das Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien an der Technischen Universität München hat in Mecklenburg-Vorpommern fünf Schulen (zwei Regionale Schulen, zwei Gymnasien und eine Förderschule) zur Teilnahme an der Studie ausgewählt.
„Die PISA-Studie ist kein Spiegelbild von Mecklenburg-Vorpommern, sondern ein Abbild aller Bundesländer und der 80 beteiligten Staaten. Sie bestätigt die Ergebnisse anderer Studien, zum Beispiel des IQB-Bildungstrends und des Gutachtens der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz zu den basalen Kompetenzen. Mecklenburg-Vorpommern muss den eingeschlagenen Weg der Stärkung der basalen Kompetenzen weiter gehen und die Schülerinnen und Schülern in den Fächern Deutsch und Mathematik weiter fördern. Wir fangen damit bereits in der Grundschule an. Vom Schuljahr 2024/2025 an erhöht das Land in der Grundschule die Stundenzahl in den Fächern Deutsch und Mathematik. Außerdem soll in allen Grundschulen des Landes ein sogenanntes flächendeckendes Leseband eingeführt werden. An drei bis fünf Tagen sind Lautlesetrainings in der Schule vorgesehen. Dafür sind pro Tag 20 Minuten der Unterrichtszeit fest eingeplant – unabhängig vom zu unterrichtenden Fach“, erläuterte Bildungsministerin Simone Oldenburg.
„Sprachkenntnisse sind ein wichtiger Schlüssel zum Bildungserfolg. Erst, wenn ich verstehen kann, kann ich Textaufgaben in Mathematik lösen, Sachtexte in Biologie und in Physik lesen. Ebenfalls beginnen wir ab dem Schuljahr 2024/2025 schrittweise die Unterrichtsstunden für die Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch zu stärken, indem hier die Stundenanzahl deutlich erhöht wird. Unsere Schülerinnen und Schüler brauchen die Zeit zum Lernen. Der Spurt durch die Inhalte muss aufhören. Wir brauchen mehr Phasen des Lernens und Festigens. Das durchgängige Sprachbildungskonzept für Mecklenburg-Vorpommern, das wir im Sommer verabschiedet haben, wird dazu beitragen, diese grundlegenden Kompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler in allen Unterrichtsfächern weiter zu erhöhen. Auch die zentralen Lernstandserhebungen sind ein wichtiges Instrument, um gezielt die Schülerinnen und Schüler in den Bereichen zu fördern, in denen die Mindeststandards nicht vollständig oder gerade so erreicht werden“, erklärte die Ministerin.
Außerdem qualifiziert das Land seine Mathematik-Lehrkräfte, zum Beispiel über die Fortbildungsinitiative „QuaMath“ des Deutschen Zentrums für Lehrerbildung Mathematik und des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN). Das Programm ist auf eine Projektlaufzeit von 10 Jahren angelegt und zielt auf die Weiterentwicklung des Mathematikunterrichts in der Primarstufe und Sekundarstufe I ab. An dem Projekt beteiligen sich 15 Bundesländer. Es wird während der gesamten Projektlaufzeit eng wissenschaftlich begleitet.
Die internationale PISA-Studie nimmt auch das Lehren und Lernen unter Pandemiebedingungen in den Blick. „Die getesteten Schülerinnen und Schüler waren während der Corona-Pandemie eine lange Zeit von Schulschließungen, Distanz- und Wechselunterricht betroffen. Die Spuren der Pandemie sind immer noch deutlich. Allerdings wäre es zu einfach, die Ergebnisse allein mit der Corona-Pandemie zu erklären. Auswirkungen von bildungspolitischen Entscheidungen treten immer schrittweise und viele Jahre später zutage. Die PISA-Studie zeigt auf, welche Folgen Kürzungen des Deutsch- und Mathematikunterrichts bei uns im Land in der Vergangenheit heute haben. Hier steuern wir um“, so Oldenburg.
Die Gruppen der leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler sind in PISA 2022 in Deutschland im Vergleich zu PISA 2018 in Mathematik, Naturwissenschaften und im Lesen signifikant gewachsen. „Schülerinnen und Schüler brauchen dringend mehr Zeit zum Üben, Festigen und zur individuellen Unterstützung, um Lücken zu schließen. Seit diesem Schuljahr gibt es bei uns im Land das Freiwillige 10. Schuljahr deshalb an Regionalen Schulen und Gesamtschulen. Das Angebot an 22 Standorten und mit insgesamt 27 Klassen richtet sich an Jugendliche, die mehr Zeit zum Lernen brauchen. Für sie erhöhen sich damit die Chancen, einen bundesweit anerkannten Schulabschluss, die Berufsreife, zu erlangen“, sagte die Bildungsministerin.