Seit 2015 bietet das Malchower Museum „Kiek in un wunner di“ regelmäßig historische Schulstunden an. Bis zum Sommer dieses Jahres wurden sie auf Hochdeutsch gehalten. Nach der Klosternacht starteten nun in dem Haus auf dem Kloster auch Schulstunden auf Plattdeutsch mit der ehemaligen Erzieherin und Kita-Leiterin Brigitte Beckmann-Hakenbeck als „Frolein Beckmann“.
Das alte Schulzimmer im Obergeschoss des „Kiek in un wunner di“ ist bis auf die letzte Bank gefüllt. An jeder der zehn historischen Schulbänke sitzen zwei Schüler. Für zwei weitere hat Museumsleiterin Martina Kurtz noch Stühle hineingestellt. Alle – Kinder wie Erwachsene – erheben sich, als Brigitte Beckmann-Hakenbeck die historische Schulstunde beginnt. Sie hat ihren Namen als „Frolein Beckmann“ an die grüne Aufstelltafel geschrieben. „Denn wir befinden uns jetzt in der Zeit vor rund hundert Jahren. Damals waren Frauen, die als Lehrerin arbeiteten, unverheiratet“, erläutert die Plattdeutsch-Expertin. Da sie weiß, dass ein großer Teil ihres touristischen Publikums des Plattdeutschen nicht mächtig ist, kündigt sie an, dass sie die kommende Dreiviertelstunde mit einem Gemisch aus Platt und Hochdeutsch gestalten wird. Zunächst allerdings kontrolliert Brigitte Beckmann-Hakenbeck, stilecht in mecklenburgischer Tracht gekleidet, die Fingernägel ihrer Schüler und fragt sie, ob sie denn auch alle ein sauberes Taschentuch dabeihaben. Den Rohrstock hält sie dabei locker in der Hand. Zum Einsatz kommt er aber natürlich nicht. Die erste Aufgabe für die Schülerschaft folgt sofort: „Frolein Beckmann“ schreibt „Gauden Dach un hartelich willkamen in Malchow!“an die Tafel. Dies wird „übersetzt“, vorgelesen und dann fein säuberlich von allen Lernwilligen in altdeutscher Schrift, in Sütterlinschrift, auf die Schiefertafeln geschrieben. Eine Weile hört man nur das Quietschen der Griffel und das Rascheln der laminierten Blätter mit dem altdeutschen Alphabet. Lehrerin Beckmann schreitet durch die Gänge und schaut ihren Schützlingen über die Schulter, lächelt diejenigen ermutigend an, die sich mehr mühen müssen. Dann klatscht sie in die Hände. „Jetzt wollen wir lesen!“ Am Ende der Stunde werden die Schüler mehrere Wörter auf Platt gelernt, in der mobilen Pause ein plattdeutsches Lied zu den Körperteilen gesungen und verstanden und einen Brauch kennen gelernt haben, mit dem die „Fischköppe“, wie die Lehrerin ihre Mit-Mecklenburger liebevoll nennt, früher ihre Wut herausließen: Sie knüllten ein Stück Zeitungspapier zu einem Ball zusammen und warfen ihn schwungvoll in den bereitgestellten Papierkorb. Besonders die Kinder sind dabei mit einem solchen Feuereifer bei der Sache, dass „Frolein Beckmann“ um ihre Haube fürchten muss. Zum Schluss singen alle das Volkslied von der Kuh des Pastors, das unzählige Strophen hat. Die historische Schulstunde auf Platt hat allen – Schülern wie Lehrerin – sichtlich Freude gemacht. Eine Familie aus München mit zwei acht- und zehnjährigen Söhnen, die auf den vordersten Bänken gesessen hat, vergleicht die Dreiviertelstunde mit „Frolein Beckmann“ mit einem Grundschullehrer alter Schule, der in der Einrichtung tätig ist, die die Jungen in der bayerischen Hauptstadt besuchen. „Sie erinnert uns an Herrn Huber!“ Auf die Frage, was ihnen hier am besten gefallen hat, antworten Paul und Raphael erwartungsgemäß: „Dass wir mit Papierkugeln werfen durften.“
Seit 2002 bietet das „Kiek in un wunner di“ historische Schulstunden an, seit 2015 ist dies regelmäßig der Fall. Bis zu diesem Sommer wurden die Stunden nur auf Hochdeutsch gehalten. Derzeit schlüpfen Martina Kurtz und Christiane Richter abwechselnd in die Rolle der Lehrkraft aus vergangenen Zeiten. Während der Tourismussaison von Anfang Mai bis Ende Oktober findet jeden Mittwoch ab 12.30 Uhr eine solche Reise in die Vergangenheit statt – mit durchschnittlich 18 bis 20 Gästen gut besucht. Außerhalb der Saison kann man das Angebot auf Anfrage buchen. Seit der diesjährigen Malchower Klosternacht sind die Schulstunden in dem Museum für historische Alltagsgegenstände auch auf Platt zu erleben. „Die Idee dafür kam von Katja Hiller, die mich im Februar zu einer Plattdeutsch-Veranstaltung in der „Werleburg“ eingeladen hatte und deren Tochter ich in einer Plattdeutsch-Gruppe in der Kita unterrichtet hatte“, berichtet Brigitte Beckmann-Hakenbeck über die Anregung der City-Managerin und Mitarbeiterin des Kultur- und Sportrings Malchow e. V. (KSR), zu dem das „Kiek in un wunner di“ gehört. Die ehemalige Erzieherin und Kita-Leiterin legte also für die Malchower Klosternacht ihre Tracht an, die sie vom einstigen plattdeutschen Verein in Malchow erhalten hatte, und stellte sich während der Klosternacht im Juni zum ersten Mal als „Frolein Beckmann“ vor eine Klasse aus Malchowern und Touristen. „Beide Veranstaltungen waren voll. So beschlossen wir, das Ganze zu verstetigen.“ Nun wechseln sich die Schulstunden auf Hochdeutsch mit denen auf Platt ab. Beide Varianten stoßen nach wie vor auf große Resonanz.
Brigitte Beckmann-Hakenbeck war auf ihre neue Aufgabe gut vorbereitet: Von 2002 bis 2004 hatte sie in Schwerin eine berufsbegleitende Weiterbildung zur „Fachkraft für Niederdeutsch“ absolviert, an der 23 an Plattdeutsch interessierte Lehrer und Erzieher aus ganz Mecklenburg-Vorpommern teilnahmen. Die Pädagogen lernten dort, das Plattdeutsche methodisch fundiert Kindern verschiedener Altersgruppen nahezubringen. Brigitte Beckmann-Hakenbeck gab ihre Kenntnisse an Kita- und Schülergruppen weiter, die dann bei Plattdeutsch-Wettbewerben in unserem Bundesland regelmäßig vordere Plätze belegten. Aus der Weiterbildung hat sie ausreichend Material für die historischen Schulstunden mitgebracht. Mit denen kann sie die fünfundvierzig Minuten locker und abwechslungsreich gestalten: Nicht nur Lesen und Schreiben, auch Singen und Tanzen halten die Schüler bei der Stange. Das funktioniert sogar, wenn Gäste aus Regionen kommen, wo ebenfalls Platt gesprochen wird, aber mit anderer lokaler Prägung. „Auch wenn wir „Plattsnacker“ aus unterschiedlichen Gebieten stammen: Wir verstehen uns immer“, sagt „Frolein Beckmann“.