Der "Fahrradkantor" Martin Schulze machte am Abend des 19. August in Malchow Station. Von 19 bis 20 Uhr spielte er in der Stadtkirche eine Auswahl deutscher und französischer Meister aus dem 17. bis 20. Jahrhundert. Der sportliche Mann mit der Nickelbrille, der in Frankfurt/Oder wohnt, war wie immer mit seinem Fahrrad angereist, einem Rennrad mit Spezial-Gepäckträger. Am Tag zuvor war er in Neukloster aufgetreten, das rund 70 Kilometer von Malchow entfernt liegt, morgen geht es mit einer ähnlichen Strecke nach Havelberg. "Er wird Sie, sein Publikum, wie immer mit "Liebe Freunde der Orgelmusik" begrüßen", kündigte Pastor Eckhard Kändler in seiner Einführung an - und so war es dann auch.
Nach der Begrüßung lobte Martin Schulze die "wunderbar restaurierte Friese-III-Orgel", die er noch mit dem Zustand vor der Restaurierung kannte. "Es ist ein fantastisches romantisches Instrument, der man mit ein paar Kniffen auch Barockmusik entlocken kann", würdigte er die Orgel in der Stadtkirche. Und für seinen "Spaziergang zwischen deutscher und französischer Orgelmusik" hatte er innerhalb eines breiten Spektrums tatsächlich auch barocke Meister dabei: Dietrich Buxtehude mit seinem "typisch norddeutschen" Praeludium in g und Johann Sebastian Bach mit Praeludium und Fuge G-Dur BWV 541, einem Spätwerk. Die Franzosen waren vertreten durch Louis Vierne, unter anderem mit einem Adagio H-Dur, einem Satz aus einer Orgelsinfonie. "Er hat versucht, die Musik von Orchestersinfonien auf die Orgel zu übertragen. Es ist ihm gelungen", meinte Martin Schulze. Außerdem brachte er noch die Suite gotique von Leon Boelmann zu Gehör, ein "oft gespieltes Werk französischer Orgelromantik", und schloss mit der Toccata G-Dur von Théodore Dubois. "Ein jubelndes Werk zum Ende", so Martin Schulzes Einschätzung.
"Meine Noten haben insgesamt schon Wege von mehreren zehntausend Kilometern zurückgelegt", erzählte der Organist nach dem Konzert. Seit 30 Jahren etwa ist er Kantor, seit rund 25 Jahren als "Fahrradkantor" unterwegs. Von Mai bis September fährt der Freiberufler seitdem bei jedem Wetter kreuz und quer durch Deutschland. Im Winter übt er und ist auch als Orgelsachverständiger tätig. Aus seinem Repertoire von Renaissance bis zur "gemäßigten Moderne", also den 30-er Jahren, stellt er jedes Jahr zwei Programme zusammen, aus denen er dann je nach zu erwartendem Instrument und zu erwartendem Publikum auswählt. "Vor Einheimischen in einer Dorfkirche spiele ich etwas anderes als vor Touristen oder vor Musikstudenten." Dass er als "Fahrradkantor" unterwegs ist, hat sich daraus ergeben, dass er sehr gerne Rad fährt. Nun ist es sein Markenzeichen. Rund zehn Kilo Gepäck führt er mit: Noten, Werkzeug, Karten, Kleidung. Über ihn gibt es bereits ein Buch und eine Fernseh-Dokumentation. Ist es denn nicht anstrengend, nach so langen Touren noch Orgel zu spielen? Keineswegs, meint Martin Schulze, im Gegenteil: "Wenn ich mal nicht mit dem Rad unterwegs bin und mich dann an das Instrument setze, fehlt mir etwas."