Man hätte denken können, die Urlaubssaison in Waren (Müritz) boomt bereits. Am Samstagvormittag kamen ab 11 Uhr aus allen Zubringerstraßen im Minutentakt Frauen und Männer mit Reisekoffern auf den Neuen Markt des Soleheilbades. Doch die 100 Menschen, die sich in die Teilnehmerliste der DEHOGA einschrieben, waren keine Urlauber, sondern jene die sehnsüchtig und verzweifelt auf ihre Gäste warten. Unter dem Motto „Die Koffer sind gepackt“ rief der DEHOGA Regionalverband der Mecklenburgischen Seenplatte zur gemeinsamen Demonstration der Touristiker auf. Und die machten ihren Ängsten, ihre Sorgen und ihrer Wut lautstark Luft. „Ins Ausland kann man reisen, aber innerhalb von Deutschland geht das nicht? Ich verstehe wirklich die Welt nicht mehr“, drückte sich Sandra Kallisch-Puchelt als Vorsitzende des DEHOGA Regionalverbandes anfänglich noch sehr dezent aus.
Etwas deutlicher wurde Dirk Nordmann, der mit einem großen Plakat seine Meinung in die Welt schreien wollte: „Kein Tisch & Bett für Politiker“ machte der Hotelier seinem Unmut über die nicht nachvollziehbaren Zwangsschließungen deutlich. „Wir betreiben unser Ferienobjekt in Barlin seit 30 Jahren. Im Januar 2020 hab ich unser Jugendcamp ,Alte Schule‘ an meine Söhne Dennis und Dustin übergeben. Doch was habe ich jetzt übergeben. Über die Borniertheit der Politiker kann man sich nur wundern“, zeigte sich der Touristiker frustriert. Und der Frust wächst und wird langsam unbeherrschbar. „Uns wurden die Herbstferien, das Weihnachtsgeschäft, die Winterferien und jetzt auch noch Ostern genommen. Wir brauchen Perspektiven“, forderte Sandra Kallisch-Puchelt. Das unterstrich auch Lars Schwarz vom DEHOGA-Präsidium. „Wir bringen hier seit Monaten Zwangsopfer. Dabei sind wir keine Pandemietreiber, denn wir sind Hygiene-Profis “, nahm Lars Schwarz langsam Fahrt auf und steigerte sich weiter in die Thematik. „Wenn eine gutgelaunte Ministerpräsidentin vor die Kamera tritt und einen Perspektivplan verkündet, der keiner ist, kann mit nur mit dem Kopf schütteln. Außengastronomie mag im bayrischen Biergarten funktionieren, aber doch hier nicht. Laut RKI ist im Hotel ein moderates und im Restaurant ein geringes Risiko, sich zu infizieren“, so der Hotelier, der gleichzeitig deutlich machte: „Der Tourismus in MV, das sind 65.000 Arbeitsplätze und die wichtigste Branche in der Region.“ Beifall hallte über den Marktplatz, der die Zustimmung der Beteiligten unterstricht.
Aber es waren nicht nur die klassischen Touristiker, die um Gehör baten. „Ja, wir sind Tourismusland Nummer 1, aber ohne Touristen sind wir es nicht“, erklärte Claudia Bergmann. „Auch wir Einzelhändler sind auf Urlauber angewiesen. Wir sitzen also im gleichen Boot“, erklärte die Vorsitzende des Warener Innenstadtvereins. „Natürlich müssen wir aufpassen. Aber wie ist es zu erklären, dass dutzende bei Aldi und Lidl an Grabbelboxen um Pullover streiten und ein Laden mit Einzelbetreuung darf nicht öffnen“, stellte Claudia Bergmann die Regelungen in Fragen. Auch ihr Stellvertreter, Olaf Gaulke, ist von den Einschränkungen betroffen. Der DJ, Moderator und Unterhaltungskünstler hängt sprichwörtlich seit einem Jahr in den Seilen. Ich habe über die Jahre gut 300.000 Euro investiert und meine Technik, die Hüpfbugen und alles andere liegt jetzt im Lager. Sonst arbeite ich 220 Veranstaltungen jährlich ab und habe jetzt nichts mehr“, so der Warener, der eigentlich unter dem Namen DJ Falo tourt. „Wenn ich dann von einer Bundeskanzlerin höre ,wir haben eigentlich nichts falsch gemacht‘ oder einem Jens Spahn, der an großen Partys teilnimmt, während wir geschlossen bleiben, fällt mir nichts mehr ein“, wetterte Olaf Gaulke.
Und noch ein Fall aus der politischen Verwaltung sorgte für Unverständnis. „Wir können seit Monaten kein Geld verdienen. Als Bonus kam jetzt ein Schreiben vom Landesförderinstitut Schwerin mit der Aufforderung binnen 14 Tage aus dem ersten Lockdown eine eventuelle Überkompensation darzustellen und gegebenenfalls die Coronahilfe zurückzuzahlen“, zeigte sich Lena Goltz vom Ferienpark Plauer See frustriert über das fehlende Fingerspitzengefühl. „Es wurde schon sehr viel gesagt, darum möchte ich jetzt vorerst meinen Mitarbeitern danken, die mit uns leiden“, so Carsten Leddermann. „Eine Bewirtung auf der Außenterrasse bringt uns jetzt nicht viel. Wer will schon bei den Temperaturen draußen sitzen und kalte Speisen zu sich nehmen“, fragte der Betreiber des gleichnamigen Restaurants. Auch Jens Renelt vom Insulaner Malchow dankte seinem Personal und speziell dem Azubi, der es schwer hat, ohne warme Küche zu lernen. „Aus diesem Grund machen wir Einzelunterricht, aber das kann es ja auch nicht sein“, erklärte der Gastwirt.
Wie auch schon bei der ersten Hotel-Demo vor zehn Monaten brachte es Kati Strasen vom Hotel „Kleines Meer“ erneut sehr emotional rüber, wie sie sich fühlt. Wie sich ihre Mitarbeiter fühlen. „Mein Team bekommt 60 Prozent Kurzarbeitergeld, hat aber 100 Prozent der normalen Ausgaben“, so die Unternehmerin, die nach und nach ihr Team vorstellte. Diese warfen symbolisch Geschirr in Scherben, denn das Hotel steht vor einem Scherbenhaufen ohne Perspektive. „Ich habe einen Koch, der nicht kochen darf. Ich habe einen Azubi der nichts lernen kann. Meine Koffer sind gepackt, doch wo geht die Reise hin“, fragte die Hotelinhaberin. Auch ihre Restaurantleiterin Petra Röper setzte mit ihrer Aktion ein symbolisches Zeichen. Gemeinsam mit Thomas Scherfig kippte sie zwei Fässer Bier aus, die nicht ausgeschenkt wurden und abgelaufen waren. „Unsere Branche stirbt…“, verdeutlichte Christiane Scherfig vom Seehotel „Weit Meer“ mit einem emotionalen Gedicht und ließ ihren Ängsten und ihrer Wut freien Lauf. Gleichzeitig sendete sie explizit keine gastlichen Grüße nach Schwerin: „Frau Schwesig, sie sind nicht mehr unsere Landesmutter. Öffnen sie das Hotel- und Gastgewerbe jetzt. Bei all der Wut und trotz angespannter Nerven verlief die DEHOGA-Demonstration ruhig und gesittet, so dass Ordnungsamt und Polizei, die lediglich in Minimalbesetzung anwesend waren, sich im Hintergrund hielten.