Hans Hilmar Koch betreibt in Krakow am See Mecklenburgs erstes und einziges Buchdruckmuseum, die „Offizin Schwarze Kunst“, und die Produzentengalerie „Blickwinkel“ in Schwerin. Mit den historischen Druck- und Setzmaschinen im Museum druckt er zum Beispiel Karten und Kalender in kleiner Stückzahl, lässt sich vom Publikum über die Schulter schauen und erläutert dabei, was er tut. „Ich möchte den Menschen vermitteln, dass Drucken eine Kulturleistung ist“, sagt der gebürtige Bernburger, der seit Mitte der Achtziger Jahre in Mecklenburg lebt und arbeitet.
Spätwinterzeit ist Ringelnatz-Zeit. Dann trifft sich Hans Hilmar Koch an drei Tagen in der Woche in seiner „Offizin Schwarze Kunst“ in der Alten Schule in Krakow am See mit Arndt Weigend. Der Drucker und der Holzgestalter und Bildhauer, der aus dem Osterzgebirge stammt und jetzt in der Region wohnt, gestalten gemeinsam die jährliche Ausgabe des Kalenders, der jeweils mit maximal 200 Exemplaren erscheint und vor allem an Stammkunden verkauft wird. Heute, an einem Donnerstag Ende Februar, ist das Juni-Blatt dran. „Arndt ist der künstlerische Direktor. Er kreiert die Holzschnitte zu den Gedichten. Ich setze den Text. Die Gedichte wählen wir gemeinsam aus“, erläutert Hans Hilmar Koch, während er eine Seite für den sechsten Monat des Jahres aus der Druckpresse zieht. „Der Holzschnitt ist fünffarbig – damit kommen wir pro Auflage auf etwa 13.000 Druckgänge“, fügt er hinzu und beginnt, mit einem Lappen, getränkt in Reinigungslösung, die Farbe Blau von den Walzen abzuwischen. Demnächst wird er den Druckvorgang mit einer anderen Farbe aus dem Spektrum fortsetzen. Gemeinsam prüfen Koch und Weigend zuvor mit kritischem Blick, ob die bisherigen Farben sauber übereinander liegen. „Zur Leipziger Buchmesse sollen die Kalender fertig sein“, kommentiert der Drucker. Der Ringelnatz-Kalender ist ein Unikat und begehrt: Die Stammkunden bestellen die jeweils kommende Ausgabe meist über Bestellkarten oder per Mail. Die Ausgabe ist schnell vergriffen. Einige Exemplare behält Koch für sein persönliches Archiv zurück.
Die Herstellung der Ringelnatz-Kalender zeigt, wie Hans Hilmar Koch in seiner „Offizin Schwarze Kunst“ arbeitet: An drei Tagen der Woche ist er hier in Mecklenburg-Vorpommerns erstem und einzigem Buchdruckmuseum tätig. Die historischen Maschinen im hinteren Teil, der Setzerei, und dem vorderen Teil, dem Drucksaal, sind aber keineswegs nur Anschauungsgegenstände, sondern werden von ihm für Aufträge in meist kleiner Stückzahl benutzt. Während er Farbe aufträgt und entfernt, Bögen durchlaufen lässt und begutachtet, kann man ihm über die Schulter schauen, erläutert und erzählt er. „Ich möchte dem Publikum vermitteln, wie früher ein kleiner grafischer Betrieb funktionierte und dass der traditionelle Buchdruck, den es bis zu seiner Ablösung durch den Offset- und später den digitalen Druck vor rund dreißig Jahren flächendeckend gab, eine Kulturleistung ist“, sagt der Wahl-Mecklenburger. Der Buchdruck von Hand, wie ihn Koch pflegt, gehört seit 2018 zum immateriellen Kulturerbe auf der Liste der UNESCO. Seine Druck- und Setzmaschinen hat er größtenteils in den 90-er Jahren geschenkt bekommen oder günstig gekauft, als zu dieser Zeit traditionelle Druckereien reihenweise schlossen, und einige davon aufgearbeitet und restauriert. „Dabei konnte man sehen, dass die Maschinen aus den privaten Betrieben oft besser gepflegt und erhalten waren als diejenigen aus den staatlichen“, hat der gelernte Setzer und Buchdrucker beobachtet.
Hans Hilmar Kochs Lebenslauf folgt dem Motto „Drucken ist Leidenschaft!“ als rotem Faden, verläuft aber dennoch nicht geradlinig. Er wurde Ende der 50-er Jahre in Bernburg geboren, das heute zu Sachsen-Anhalt gehört. Nach der dem Abschluss der zehnten Klasse lernte er Landwirt und absolvierte danach an der Ingenieurhochschule Quedlinburg ein Studium der Agrarwissenschaften für Versuchswesen, wonach es ihn für die Absolventen-Pflichtzeit von mindestens drei Jahren ans Institut für Pflanzenzüchtung nach Gülzow verschlug. „Doch ich liebte es schon als Jugendlicher, mich mit Druckgrafik zu beschäftigen, weshalb ich bereits während des Studiums Disko-Plakate gestaltete. Daher begann ich nach vier Jahren in Gülzow in der Druckerei der Schweriner Volkszeitung in Güstrow eine Ausbildung zum Buchdrucker, weil ich darin ein Sprungbrett ins grafische Gewerbe sah“, erzählt Hans Hilmar Koch über diese Zeit. Eine fachlich hochwertige Ausbildung bekam er jedoch dort nicht – daher brach er nach einem halben Jahr ab. „In meinen Beruf als Agraringenieur wollte ich aber auf keinen Fall zurück. Daher radelte ich eines schönen Tages in nahegelegene Bützow und fragte den Buchdrucker Karl Keuer, den ich bereits kannte, ob ich bei ihm meine Ausbildung fortsetzen könnte.“ Nach einer Woche Bedenkzeit sagte der Meister zu. Es wurde eine ungewöhnliche Lehrzeit: Der Azubi, der sich bereits der 30 näherte, musste sich das theoretische Wissen selbstständig aus Büchern aneignen und wurde dazu regelmäßig von Keuer abgefragt. Anfang 1990, kurz nach dem Fall der Mauer, bestand Hans Hilmar Koch seine Gesellenprüfung und durfte sich künftig Facharbeiter für Polygraphie, Spezialisierung Schriftsatz und Buchdruck, nennen. Als sein Ausbilder ihn nach dem Abschluss zum Offsetdrucker umschulen wollte, mochte Koch diesen Weg weg vom klassischen Buchdruck hin zum industriellen Massendruck nicht mitgehen. „Damals entstand die Idee, meine eigene Druckwerkstatt einzurichten“, sagt er. So verfolgte er in den 90-er Jahren, während er als Werbegestalter am Theater Güstrow und als Vertreter für Reiseliteratur tätig war, wie sich der Markt für klassische Druckmaschinen und Druckerzeugnisse entwickelte. Nach Krakow kam er, weil er einige Maschinen der lokalen Privatdruckerei „Bontemps“ übernehmen wollte, die jetzt einen Teil seiner Einrichtung bilden. „Die Stadtverwaltung plante damals, den Ort Krakow interessant zu machen. Das war die Gelegenheit für mich, meine Idee einer Druckerei nach Art der kleinen Familienbetriebe aus der Vergangenheit vorzustellen. Bürgermeister und Stadtparlament waren einverstanden. Damals wurde gerade die Alte Schule saniert, die ein passender Ort war und in der ich dann meine Kombination aus Museum und Werkstatt einrichtete.“ 1998 eröffnete die „Offizin Schwarze Kunst“ und feiert folglich in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen. Da Hans Hilmar Koch zusätzlich einen Platz brauchte, wo er das, was hier entsteht, verkaufen kann, wirkte er ab 2008 in der heutigen Galerie „Blickwinkel“ in der Schweriner Schelfstadt mit. Seit 2012 betreibt er diese gemeinsam mit der Papierrestauratorin Carmen Wallow als Mischung aus Galerie, Laden und Werkstatt. „Für den Verkauf der Produkte braucht es das Publikum einer größeren Stadt“, meint er.
So pendelt Hans Hilmar Koch nun seit einigen Jahren zwischen Schwerin, wo er mittlerweile auch wohnt, und Krakow am See: An den Dienstagen, Mittwochen und Donnerstagen arbeitet er in der Alten Schule. An den Freitagen, Samstagen und Montagen ist er im „Blickwinkel“ anzutreffen. Doch egal an welchem Ort er gerade tätig ist – die Motivation, die ihn trägt, ist dieselbe: „Ich habe das Glück, Dinge tun zu dürfen, die mir eine Leidenschaft geworden sind, auf die Weise, die ich immer angestrebt habe: selbstbestimmt und ohne Hierarchien.“